Die Katze spricht zu mir
von Tierärztin Dr. Eva-Christina Grafl-Tendl
Ich schaue auf die Uhr. Seit genau 23 Minuten referiert die Besitzerin der Katze über die tödlichen Erkrankungen des armen Tiers. Die Katze ist schwerstens gelangweilt und testet ihre Krallen und Zähne. In meiner Hand. Autsch.
Untersuchen darf ich die Katze nicht. Die Besitzerin besteht darauf, mir ihre Diagnosen mitzuteilen. Vor der Untersuchung. Die Katze habe sich am Wochenende einmal übergeben. Fressen tut sie, ja, klar. Durchfall hat sie auch nicht, aber das ist bei tödlichem Darmkrebs ganz normal.
Irgendwie, jetzt, nach 27 Minuten, erklärt mir die Dame, wie sie zu dieser Diagnose kommt. Ja, sie hätte da eine ganz tolle Katzenflüsterin. Die könne mental mit Katzen Kontakt aufnehmen. Via Skype. Und dann übersetze sie den Besitzern, was die Katze denkt.
Die Katze vor mir denkt sich momentan: „So eine Scheiße.“ Und „Stirb, Tierarzt.“ Diesen Gedanken untermauert sie, indem sie mich anfaucht und die Krallen ausfährt. Ich übe mich in Geduld. Nebenbei erzählt die Dame, dass sie Lehrerin ist. Ich beschließe, mein Kind niemals in die Schule zu geben.
„Google ist ja auch so toll. Da gibt man ein, dass die Katze bricht, und schon hat man die passende Krankheit dazu.“ „Und Dr. Google hat diagnostiziert, dass ihre Katze Krebs hat? Und die Katzenflüsterin hat das bestätigt?“, frage ich. Begeistert nickt die Lehrerin, endlich habe ich verstanden.
Ich hätte auf meine Eltern hören sollen. Wieso esse ich Schokolade statt Salat und trinke Cola statt Leitungswasser? Hätte ich meine Figur von vor 15 Jahren könnte ich auf Stewardess umsatteln. Ich würde während eines Fluges einen tollen Atomphysiker kennenlernen, der begeistert wäre von der neurotischen Art, mit der ich ihm seinen eisgekühlten Chablis im Plastikbecher serviere und dabei quasi nebenbei die Strahlenbelastung des Fluges in Mikrosievert ausrechne. Gemeinsames, nerdiges Wochenende in der Nähe eines hübschen Atomkraftwerkes, und schwupps, Vollzeitfreundin eines ganz großen Wissenschaftlers. Die Marie Curie des 21. Jahrhunderts. Es hätte so leicht sein können.
Minute 42. Es reicht. Ich bin die Phantasiefreundin eines Nobelpreisträgers. Ich hab das nicht nötig. Ich richte mich auf, schaue der Lehrerin ernst ins Gesicht und räuspere mich. „Ihre Katze spricht zu mir. Sie erzählt mir gerade, dass sie die Katzenflüsterin verarscht hat.“
Die Lehrerin flüstert beeindruckt: „Frau Doktor, sie haben´s wirklich drauf.“ Die Katze miaut zustimmend und meint, dass sie Connections zur Internationalen Atomenergiebehörde habe. Für ein halbes Kilo Katzenminze würde sie mir einen Job dort vermitteln. Guter Deal.
petdoctors.at Expertin:
Dr. Eva Christina Grafl-Tendl, Bvetmed
ist Tierärztin und eine von vier Tierärzten weltweit (und davon die einzige Frau), die in der Zone Tschernobyl forschen darf, unter anderem zu Seuchenprävention und den Auswirkungen radioaktiver Strahlung auf den Organismus. Sie hat eine Auszeichnung der ukrainischen Regierung für besondere Dienste an der Zone, ist ehrenamtliche Tierärztin im Tierheim Bratislava und ehemaliges Mitglied der Ethik- und Tierschutzkommission an der Veterinärmedizinischen Universität Wien.
Und sie ist laut Eigenbeschreibung „eine der vehementesten Tollwutimpfpraxen in ganz Wien, seit ich mit der Schaufel in Tschernobyl mitten im Red Forrest auf einen tollwütigen Waschbären draufhauen musste und gesehen hab, wie elendig ein Viech an der Tollwut verreckt.“