Ein Hund aus dem Tierschutz: was Sie wissen sollten [08|24]
Tierschutzhund, Bedürfnisse, Herkunft, M;ag.a Ursula Aigner, Canis-Sapiens - Update [25|08|24]
- Artikel von petdoctors.at Expertin Mag.a Ursula Aigner, www.canis-sapiens.at
- Über die zentralen Fragen, wenn ein Hund aus dem Tierschutz kommt:
- Welche Vorgeschichte hat er, wo lebt er derzeit, was kann er gut, was kann er weniger gut? etc.
- Welche Kriterien sollten seriöse Vermittlungsorganisationen erfüllen
- Wann ist bei einer Übernahme Vorsicht geboten
- [Deutschland: Mehrwissen auf Bussgeldkatalog.org zu Tierschutz und Hundehaltung]
1. Was für einen Hund aus dem Tierschutz spricht und was beachtet werden sollte:
- Einem Hund eine zweite (oder dritte…) Chance zu geben, das finden immer mehr zukünftige Hundebesitzer*innen moralisch deutlich vertretbarer, als einen Hund vom Züchter aufzunehmen. Schließlich sind die Tierheime und Vermittlungsorganisationen voller Seelen, die auf ein besseres Leben warten, was durch Social Media und co inzwischen nahezu „hautnah“ miterlebbar ist.
- Ein bereits erwachsener Hund ist gerade für Hundeneulinge die geringere Herausforderung, als in den sensiblen Entwicklungsphasen eines Welpen und heranwachsenden Hundes die richtigen Maßnahmen und Entscheidungen zu treffen. Obwohl erwachsene Hunde oft über ein enormes Potenzial an Anpassungsfähigkeit verfügen, gibt es dennoch einige Dinge, die bei Auswahl und Eingewöhnung eines Tierschutzhundes zu beachten sind.
- Jeder Hund ist ein einzigartiges Individuum und verhält sich abhängig von bisherigen Erlebnissen und Erfahrungen. Ähnlichkeiten im äußeren Erscheinungsbild geben wenig Aufschluss darüber, wie sich ein Hund verhält oder verhalten wird. Das Foto eines Hundes, der dem entzückend braven Hund aus der Nachbarschaft ähnelt, sagt in Wirklichkeit nichts über das Verhalten des Hundes aus.
- Wenn man sich an ein Tierheim oder eine Vermittlungsorganisation wendet, sollte es möglich sein, den Hund persönlich kennen zu lernen. Wenn der Hund im Tierheim lebt, ist das meist kein Problem.
- Im Falle von Vermittlungsorganisationen sind Pflegestellen gefragt. Nur bei bereits erfahrenen Adoptand*innen ist es ratsam, Hunde direkt von einem Auffanglager bzw. einer Tötungsstation, wo sie das Leben mit und um Menschen sowie Umweltreize wie Innenräume, Küchenlärm, Straßen, Autos, Spazierengehen, Begegnungen mit fremden Hunden, etc… nicht kennenlernen können, zu vermitteln. Oder die Lebenssituation ist so ländlich, dass Situationen, die den Hund überfordern, - zumindest anfangs - leicht vermieden werden können.
2. Ob Tierheim oder Vermittlungsorganisation: diese 4 Fragen, sollten beantwortet werden:
- Was ist bekannt von der Vorgeschichte des Hundes?
- Wie lebt der Hund derzeit?
- Was kann/kennt der Hund gut?
- Was kann/kennt der Hund weniger gut?
3. Idealerweise geht aus der Beantwortung dieser Fragen hervor:
- Dass der Hund in die jeweilige Lebenssituation des/der Interessenten/In gut passt.
- Aber auch, wenn der eine oder andere Faktor unbekannt ist, stellt das die Adoption nicht unbedingt in Frage.
- Wenn beispielsweise der Hund wegen einer Krankheit des/der BesitzerIn im Tierheim abgegeben wurde, davor in einem kleinen Dorf lebte und mit Menschen gute Erfahrungen machen durfte, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass er sich an das Leben in einer Siedlung am Rande einer größeren Stadt gut anpassen kann.
- Ganz Grundlegendes wie das enge Zusammenleben in einer Wohnung mit seinen neuen Menschen stellt keine besondere Herausforderung dar, mit den vermehrten Umweltreizen, häufigeren Hundebegegnungen etc. kann der Hund mit guter Unterstützung seiner Menschen lernen, umzugehen.
4. Eine zentrale Frage ist: was hat der Hund bisher kennen gelernt?
Qualifizierte Tierheime oder Vermittlungsorganisationen sollten ausgebildete MitarbeiterInnen im Bereich
- Bedürfnisse,
- (Ausdrucks-)Verhalten und
- Training von Hunden haben,
- um eine Einschätzung abgeben können,
- ob der konkrete Hund lernen könnte, mit der Lebenssituation des/der Interessenten*in gut klar zu kommen.
Stellt sich bei der Beantwortung der Fragen heraus, dass der Hund bisher sehr wenig „normale“ Umweltreize und Situationen kennen gelernt hat, weil er in einer Tötungsstation gelebt hat, so liegt die Einschätzung an der vermittelnden Pflegestelle, wie gut sich der Hund eingelebt und angepasst hat – mit entsprechender tierschutzkonformer Trainingsunterstützung.
Wenn er sich in der Wohnung am Stadtrand der Pflegestelle einige Wochen gut eingelebt hat, schon Fertigkeiten des Alltags erlernt – keine Angst vorm Staubsauger, Begegnungen mit Hunden beim Spaziergang - und auch bereits Vertrauen in Menschen erlangt hat, steht einem Umzug ins Traumzuhause der AdoptandInnen nichts im Weg, solange sie nicht im 10. Stock eines Hochhauses in einer Großstadt wohnen.
Wenn die Chemie beim Kennenlernen und bei Probebesuchen stimmt, können die Vorbereitungen zur Übernahme getroffen werden. Bevor wir uns aber mit den wichtigen ersten Maßnahmen nach der Übernahme beschäftigen, noch die wichtigsten Punkte, bei denen Vorsicht geboten ist und man von einer Übernahme absehen sollte.
5. Von einer Übernahme sollten Sie absehen bzw. wann Vorsicht geboten ist:
- es liegen keine bzw. kaum Informationen über Hund vor
- Ein persönliches Kennenlernen des Hundes ist nicht möglich
- Die Vermittlung erfolgt aufgrund eines mitleidsheischendem Fotos (völlig verängstigter Hund in Ecke gekauert)
- Eine Zustellung direkt ins Zuhause ohne Interesse an Lebenssituation der Adoptand*innen und ohne Kennenlernen vorab
- Eine Übergabe auf einer Autobahnraststation
- Es gibt keine Kontaktperson, die bei Fragen und Problemen helfend zur Seite steht
Einen Hund aufzunehmen, ohne diese Punkte zu beachten, erfordert mit großer Wahrscheinlichkeit viel Erfahrung im Umgang und Training mit Hunden. Die Erwartung, dass der Hund vom Foto, der sich mit weit aufgerissenen Augen im Eck eines Zwingers verkriecht, sich zu einem kinderliebenden Familienhund in einem hektischen Haushalt entwickelt, geht mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in Erfüllung.
6. Eine Vermittlung darf kein Lotteriespiel sein:
Tiervermittlung darf nicht zum Lotteriespiel ausarten, wo darauf gesetzt wird, dass es vielleicht schon irgendwie funktioniert wird. Das hat mit Respekt und Verantwortung dem Lebewesen Hund und Mensch gegenüber wenig zu tun. Es kann also ein größerer Beitrag zum Tierschutz sein, Nein zu sagen, als unseriöse Organisationen zu unterstützen, die mit Mit- und Tierleid Geld machen.
Denn auf diese Art führt niemand ein lebenswertes Leben und weder Mensch noch Hund sind am Ende glücklich. Leben retten alleine genügt nicht – es muss auch lebenswert sein - für alle Beteiligten.
7. tierschutzhund.info steht mit Rat und Tat zur Seite:
Erfreulicherweise hat sich der Verein tierschutzhund.info genau dieses Themas angenommen – zukünftigen Adoptand*innen wichtige Informationen über die Übernahme eines Tierschutzhundes weiterzugeben. Damit der Wunsch eines gemeinsamen harmonischen Zusammenlebens auch tatsächlich in Erfüllung geht und der Wunschtraum nicht zum Alptraum für alle Beteiligten wird.
Mit Hilfe von KooperationspartnerInnen, die mit Tierschutzhunden besonders erfahren sind, sowie Informationsveranstaltungen und Seminaren kann tierschutzhund.info mit Rat und Tat zur Seite stehen.
8. Der Tierschutzhund zieht ein – was zu beachten ist:
Ähnlich uns Menschen können auch die Bedürfnisse von Hunden anhand der Bedürfnispyramide von Maslow erklärt werden.
- Grundbedürfnisse: Essen, Trinken, Ruhezeiten, Schlafen, Bewegung, geistige Anregung, …
- Sicherheitsbedürfnisse: Erwartungssicherheit, Kontrolle, körperliche Sicherheit und Unversehrtheit, Angstfreiheit, ungestörter Ruheplatz, verlässliche Bezugspersonen, Routinen, Regeln, …
- Soziale Bedürfnisse: Familienanschluss, positiver Sozialkontakt zu Mensch, Hund und anderen Tieren, Körperkontakt, ...
- Individualbedürfnisse: Anerkennung, Wertschätzung, Respekt, Lob, Erfolgserlebnisse, gemeinsame Unternehmungen, Recht auf faires Training und tierschutzkonformen Umgang, …
- Selbstverwirklichung: Individualität, Aufgaben, Freiraum für eigene Bedürfnisse und Erfahrungen, Hund sein dürfen, …
Wenn ein Hund in ein neues Zuhause einzieht, müssen zuerst die Grundbedürfnisse erfüllt werden, bevor an beispielsweise Trick-Training zu denken ist. Vor allem viel Ruhe und ausreichend Schlaf (15-18 Stunden pro Tag) müssen hier ermöglicht werden. Das bedeutet, dass die ersten Wochen kein straffes Kennenlernprogramm abgespult werden sollte. Familie und Freunde können auch nach der Ein- und Umgewöhnungszeit eingeladen werden, der Hund braucht jedenfalls in erster Linie Zeit, um anzukommen.
Eine gewisse Erwartungssicherheit hilft dem Hund, sich schneller einzuleben: Routinen (Spaziergang, danach Fütterung und Ruhephase, …) und Regeln (Couch erlaubt oder nicht) sollten von Anfang an eingeführt werden, sowie auch ein Platz, der nur dem Hund „gehört“ und wo er in Ruhe gelassen wird.
Bei Hunden, die unsicher und ängstlich sind, ist für Spaziergänge ein Sicherheitsgeschirr anzuraten, bei Hunden die zu Panikverhalten neigen zusätzlich ein Halsband mit zweiter Leine, um ein Weglaufen sicher zu verhindern. Spaziergänge sollten anfangs auch entlang derselben Wege führen, damit der Hund die Möglichkeit hat, sich zu orientieren und zurecht zu finden.
MitbewohnerInnen (menschliche als auch tierliche) sollten in den ersten Tagen noch zurückhaltend sein und den Neuankömmling selbst über eine Annäherung entscheiden lassen. So wird Überforderung vermieden und der Hund hat Kontrolle über seine Situation. Zeigt sich der Hund aufgeschlossen und nimmt Kontakt auf, traut sich zum ersten Mal die Treppe in den ersten Stock hinauf oder reagiert beim Herannahen eines lauten Motorrads nicht mit Fluchtversuch sondern mit hilfesuchender Kontaktaufnahme, so sollte mit Lob und Anerkennung nicht gespart werden. So gibt man dem Hund Sicherheit, das Gefühl der Anerkennung und dass er Schwierigkeiten bewältigen kann – mit unserer Unterstützung.
Während dieser ersten wichtigen Wochen bis wenigen Monate der Eingewöhnung kann Schritt für Schritt Neues kennengelernt werden: hundliche und menschliche FreundInnen, neue Spaziergehwege, Ausflüge, positiver Tierarztbesuch, etc. So steht einem guten und wahren Hundeleben nichts mehr im Wege.
pettrainers.at Expertin Mag. Ursula Aigner ist Verhaltensbiologin und Tierschutzqualifizierte Hundetrainerin
Der Fokus ihrer Arbeit liegt im Training und der Verhaltensberatung von Hunden, die im Alltag problematisches Verhalten zeigen. Sie ist zudem als Prüferin des Wiener Hundeführscheins und Gerichtsgutachterin für Hunde tätig. In ihrer Arbeit ist ein respektvoller und gewaltfreier Umgang mit Tier und Mensch zentral. Ursula Aigner engagiert sich zudem auch aktiv im Tierschutz und unterstützt tatkräftig verschiedene NGOs.
Sie ist Gründerin der Hundeschule canis-sapiens
www.canis-sapiens.at canis sapiens auf Facebook
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